Untersuchungsausschuss | | Nr. 194/17
Diese Herausforderung kann nur gemeistert werden, wenn die Kinder und Jugendlichen sich nicht als vergessene Kinder betrachten
Es gilt das gesprochene Wort
Sperrfrist Redebeginn
Heute ist es nun soweit: Nach 1 ½ Jahren, 62 Ausschusssitzungen, 39 Zeugenbefragungen, vielen weiteren Gesprächen und unzähligen Stunden Aktenstudium haben wir nun endlich den Abschlussbericht zum ersten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorliegen. Ich möchte mich zunächst einmal bei allen bedanken, die diesen Untersuchungsausschuss unterstützt haben und insbesondere Frau Dr. Riedinger und Herrn Göllner hervorheben. Ohne deren herausragende Arbeit würden wir heute hier nicht stehen.
Mit dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss hat endlich eine Aufklärung über die Situation der Heimkinder in Schleswig-Holstein stattgefunden. Ich möchte daher festhalten: Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss war wichtig und notwendig und hat gewirkt.
Die Untersuchung der Vorfälle im Friesenhof hat zu einer merklichen Verbesserung der Situation der Heimkinder im Land geführt. Betreute, die sich vorher wie vergessene Kinder fühlten, haben neuen Mut geschöpft und vertrauen nunmehr darauf, dass uns ihre Bedürfnisse am Herzen liegen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat im Hinblick auf den Umgang mit Betreuten Missstände aufgedeckt und erheblichen Verbesserungsbedarf festgestellt. Bei Kindern, die in Obhut genommen werden haben wir die Pflicht, ihnen den bestmöglichen Schutz zu geben
Dafür tragen wir Verantwortung. Und das Ministerium muss dafür sorgen, dass die marktwirtschaftlichen Bedürfnisse der privaten Träger nicht über dem Schutz der Kinder und Jugendlichen stehen. Wir müssen als Staat dafür sorgen, dass die Heimaufsicht die Träger berät und regelmäßig die ordnungsgemäße Betreuung der Kinder und Jugendlichen überprüft. Und mit regelmäßig meine ich an dieser Stelle nicht nur alle paar Jahre. Für uns steht fest: Im Friesenhof ist es zu erheblichen Gefährdungen des Kindeswohls gekommen – dazu die drei wichtigsten Punkte:
Erstens:
Die Zustände im Friesenhof sind durch das Zusammenspiel von individuellen und strukturellen Fehlern in der Heimaufsicht erst möglich geworden. Und ich bin mir sicher, dass sie durch ein gewissenhafteres und mutigeres Vorgehen des Ministeriums hätten verhindert werden können.
Zweitens:
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat gezeigt, dass bereits die Konzeptionen des Friesenhofs mangelhaft waren. Mit der Konsequenz: Die Heimaufsicht hätte gar nicht erst eine Betriebserlaubnis für die Einrichtung erteilen dürfen. Sie hätte die Konzepte vielmehr kritisch hinterfragen und einfordern müssen, dass diese zu konkretisieren sind.
Schon früh hätte man so erkennen können, dass im Friesenhof Konzepte angewendet wurden, die von naiven pädagogischen Annahmen geprägt sind und überwiegend aus allgemeinen Versprechungen bestehen. Hätte eine ordnungsgemäße Prüfung stattgefunden, wäre auch aufgefallen, dass die Konzepte ein erhebliches Gefährdungspotential für die Betreuten aufwiesen.
Drittens:
Viele der vom Friesenhof angewandten so genannten pädagogischen Methoden sind untragbar. Dieses Gefährdungspotential hat sich im Friesenhof zu Lasten der betreuten Kinder und Jugendlichen ausgewirkt. Jugendlichen brauchen klare Grenzen.
Aber Praktiken, wie extremer Strafsport, der selbst in der militärischen Grundausbildung verboten ist, überschreiten diese Grenze ganz eindeutig und haben für mich keinen Platz in den Einrichtungen. Gleiches gilt für den falschen Umgang des Friesenhofs mit den Grundrechten der Bewohnerinnen. Kinder und Jugendliche wurden stundenlangen Gruppensitzungen ausgesetzt, in denen die Betreuten auch intime Details der eigenen Biographie vortragen mussten.
Ich weiß nicht, liebe regierungstragende Fraktionen, welche Vorstellung sie von Erziehung und Betreuung haben. Für mich muss sie jedenfalls erziehend und fördernd wirken; und darf nicht demütigend oder traumatisierend sein!
Dass das Landesjugendamt angesichts dieser Zustände nicht den Widerruf der Betriebserlaubnis in die Wege leitete, sondern bloß eine inhaltlich unbestimmte Auflagenverfügung erließ, ist für uns nicht hinzunehmen. Spätestens im Oktober 2014 war ersichtlich, dass das Wohl der betreuten Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung erheblich gefährdet war.
Zu diesem Zeitpunkt war die Einrichtung bereits mehrfach beim Landesjugendamt auffällig geworden. Wir sind überzeugt, dass ein entschiedeneres Vorgehen der Heimaufsicht nicht nur im Rahmen des rechtlich Möglichen gelegen hätte, sondern auch dazu geeignet gewesen wäre, das Leid der Mädchen zu verkürzen. Es wäre sogar ihre Pflicht gewesen. Leider hat das Ministerium im Fall Friesenhof zu zaghaft und ängstlich gehandelt, was auf die mangelhafte Organisation des Hauses zurückgeführt werden muss.
Bereits seit Oktober 2013, also noch einmal ein Jahr früher, gingen die Sachbearbeiter davon aus, dass es zu massiven Fehlverhalten in den Einrichtungen gekommen ist. Und sie haben ein unmittelbares Vorgehen gegen den Friesenhof für notwendig erachtet. Doch passiert ist leider nichts. Denn das von den Sachbearbeitern geforderte Vorgehen wurde von der Referatsleiterin unter Hinweis auf das Prozessrisiko und etwaige Schadensersatzforderungen weitestgehend ausgebremst.
Eine Referatsleiterin muss das gesamte Spektrum der entscheidungserheblichen Tatsachen berücksichtigen und darf sich nicht von der eigenen Unsicherheit leiten lassen. Dass dies über Jahre ungehindert geschehen konnte, ist darauf zurückzuführen, dass Hausspitze und Abteilungsleitung in der Aufsicht versagt haben. Es hätte im Rahmen der Ausübung der Dienstaufsicht nicht allein auf die Berichte der Referatsleiterin vertraut werden dürfen. Es hätte vielmehr stichprobenartig überprüft werden müssen, ob die Strukturen der Heimaufsicht ausreichend sind, um die übertragenen Aufgaben zu erledigen. Doch anstatt die Heimaufsicht inhaltlich und strukturell zu überwachen, wurde hauptsächlich das Personal erweitert.
Ich bin froh, dass wir all diese Fehler durch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufdecken konnten. Aber das reicht natürlich noch nicht. Damit sich Vorfälle wie im Friesenhof nicht wiederholen, muss das bisherige Vorgehen überdacht werden und mit den festgestellten Ergebnissen Verbesserungen für die Zukunft erreicht werden. Für mich ist es ein Unding, dass den Sachbearbeitern einer Landesbehörde freigestellt wird, auf welche Art und Weise sie ihre Akten führen. Wir haben nur Teilaspekte der Verwaltungsabläufe untersuchen können. Doch bereits die uns zugesandten Akten waren eine reine Katastrophe.
Bevor eine erneute Personalerweiterung vorgenommen wird, müssen die gesamten Abläufe im Landesjugendamt analysiert und optimiert werden. Nur so kann es gewährleistet werden, dass sich die bestehenden Fehler in den Abläufen nicht verfestigen. Zum anderen müssen wir uns dafür einsetzen, dass das SGB VIII anforderungsgerecht angepasst wird. Das haben wir fraktionsübergreifend ja bereits in einer vorherigen Landtagsdebatte beschlossen.
Insbesondere der sozialgesetzliche Kindeswohlgefährdungsbegriff muss unmissverständlich konkretisiert werden. Die Untersuchung des Friesenhofs hat uns deutlich gezeigt, dass auch die Person des Trägers in den Fokus der behördlichen Prüfung gestellt werden muss. Deshalb muss das Merkmal der „Zuverlässigkeit des Trägers“ zu einem gesetzlichen Kriterium für den Betrieb einer Einrichtung im SGB VIII gemacht werden.
Für eine nachhaltige Verbesserung der Situation der Heimkinder in Schleswig-Holstein dürfen wir uns jedoch nicht nur auf die bloße Änderung des SGB VIII beschränken. Die Untersuchung hat sehr deutlich gemacht, dass von Seiten der Jugendämter ein starkes Bedürfnis nach Einrichtungen besteht, die schwierige Kinder und Jugendliche aufnehmen. Wobei jeder von uns sicherlich eine andere Definition hat, was unter schwierig zu verstehen ist. Der vom Untersuchungsausschuss angehörte Gutachter Prof. Dr. Schwabe spricht in dieser Hinsicht von einer unheilvollen Allianz zwischen dem Friesenhof und den belegenden Jugendämtern.
Diese suchen oft händeringend nach Einrichtungen, die ihnen schwierige Jugendliche abnehmen, die sonst keiner mehr nehmen will. So einem Vorgehen von Seiten der Jugendämter und Duldung durch die Heimaufsicht müssen wir aktiv begegnen. In der nächsten Legislaturperiode sollte sich der Schleswig-Holsteinische Landtag daher mit der Frage beschäftigen, ob für die Zielgruppe der schwer erreichbaren Jugendlichen spezialisierte Einrichtungen in eigener Trägerschaft geschaffen werden müssen.
Es hätte den Vorteil, dass für die Kinder und Jugendlichen mit dem größten Betreuungsbedarf pädagogische Angebote geschaffen werden, die unabhängig von marktwirtschaftlichen Erwägungen sind. Von einem respektvollen Umgang mit den Friesenhof-Kindern können wir nach der Zeugenvernehmung der jungen Menschen überhaupt nicht mehr sprechen. Das war für uns eindeutig. Umso mehr war ich geschockt, als ich ihre Bewertungen gelesen habe.
Es ist für mich unverständlich, was sie dazu veranlasst hat, das Leid der betreuten Kinder und Jugendlichen derart zu relativieren. Es ist kaum zu glauben, dass Sie die Nachtkontrollen nicht als Kindeswohlgefährdung ansehen. Es ist kaum zu glauben, dass Sie den verhängten Strafsport ab 4 Uhr morgens, der eindeutig über das Leistungsvermögen der Mädchen hinausging, nicht als Kindeswohlgefährdung ansehen. Genauso sehen Sie auch die Strafen „Essensentzug“ und „bewusste Monotonie“ nicht als Kindeswohlgefährdung an.
Warum sind die Postkontrollen, die bewusste Verletzung des Postgeheimnisses, auf einmal keine Kindeswohlgefährdung mehr für Sie? Und auch die vorsätzliche und bewusste Erniedrigung der Mädchen relativieren Sie. Was ist das für ein Signal, was Sie hier an die Schützlinge aussenden? Ich sage es Ihnen: Es ist ein fatales.
Ihre Relativierung der Vorgänge ist ein weiterer und nachträglicher Schlag ins Gesicht für die Mädchen! Anstatt die Aussagen der ehemaligen Bewohnerinnen ernst zu nehmen, kommen sie zum Ergebnis, dass es nicht festgestellt werden konnte, ob das Wohl der Kinder gefährdet war. Wie können sie dieses Ergebnis formulieren, wenn die Mädchen uns die Vorgänge detailliert und glaubhaft geschildert haben?
Sie zweifeln hier die Glaubwürdigkeit derjenigen an, die den Mut hatten, von Ihren Erlebnissen zu berichten. Das Leid der Kinder herunter zu spielen und auszublenden, nur um den eigenen politischen Schaden zu minimieren. Das ist für mich respektlos und zynisch! Ich bleibe dabei: Die Behandlung der Mädchen im Friesenhof war eindeutig kindeswohlgefährdend. Für die Zukunft müssen wir gewährleisten, dass der Fall Friesenhof sich nicht wiederholt.
Diese Herausforderung kann nur dann gemeistert werden, wenn die Kinder und Jugendlichen sich nicht als vergessene Kinder betrachten. - So wie sie es von sich selbst in der Veranstaltung in den Räumen des Kinderschutzbundes in Kiel gesagt haben. Wir alle tragen Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen egal. wo und wie sie betreut werden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel