Ministerpräsidentenkonferenz | | Nr. 107/21
TOP 3: In der Krise sind Regierung und Opposition gleichermaßen in der Verantwortung
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
die Ministerpräsidentenkonferenz in dieser Woche stand – wie so oft während der Corona-Pandemie – vor schwierigen Abwägungsproblemen, die häufig einer Gratwanderung gleichkommen.
Bei der geplanten fünftägigen Osterruhe ist diese Abwägung nachts um 2 Uhr gründlich schiefgegangen.
Grundsätzlich ist es ja keine verkehrte Idee, das dynamische Infektionsgeschehen dadurch zu brechen, dass für einen begrenzten Zeitraum die Kontakte möglichst auf null reduziert werden.
Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal an die erste Expertenanhörung des Landtages im letzten Jahr erinnern, in der die Leiterin des Neumünsteraner Gesundheitsamtes eine vierwöchige Ausgangssperre als radikale, aber wirksame Lösung vorgeschlagen hatte.
Das ist sicherlich vollkommen unvorstellbar, aber auch der Versuch einer 5-tägigen Osterruhe scheitert daran, dass er schlichtweg nicht umsetzbar ist. Erst recht nicht mit dem kurzen zeitlichen Vorlauf von nur einer Woche.
Die Fülle von Detailproblemen, die damit verbunden sind, sind in den letzten 48 Stunden deutlich geworden: Vereinbarte Arzttermine, die Versorgung von Krankenhäusern, Produktionsprozesse die nicht einfach unterbrochen werden können, Logistikprobleme, Lohnfortzahlung usw.
Und das ist nur eine kleine Auswahl der Fragen, die dieser Beschluss aufgeworfen hat. Diese Entscheidung heute zurückzuziehen ist deshalb die richtige Konsequenz. Die damit verbundenen Irritationen sind im höchsten Maße bedauerlich. Für die Akzeptanz in der Bevölkerung ist ein solches Hin-und-Her sicherlich nicht hilfreich.
Aber es ist auch ein Zeichen von Größe und Stärke der Bundeskanzlerin, einen solchen Fehler einzugestehen und diesen zu revidieren. Das sollte deshalb kein Grund für Häme oder Schuldzuweisungen sein, vor allem nicht, weil die Corona-Lage natürlich weiterhin kritisch bleibt.
Bundesweit steigen die Corona-Zahlen stark an, wir befinden uns mitten in der dritten Welle und von Seiten des Robert-Koch-Institutes aber auch anderer führender Virologen werden für die Zeit nach Ostern neue Rekordwerte an Infektionszahlen prognostiziert.
Auf der anderen Seite leidet die Bevölkerung immer stärker unter dem monatelangen Lockdown, die Not der geschlossenen Branchen wächst und die Hilferufe werden von Tag zu Tag lauter.
In dieser schwierigen Situation ist ein gesellschaftlicher Konsens über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie leider immer weniger erkennbar:
In Umfragen spricht sich rund ein Drittel der Bevölkerung für verschärfte Maßnahmen und einen verlängerten Lockdown aus. Ein zweites Drittel lehnt dieses ebenso entschieden ab und fordert die Rückgabe von Freiheitsrechten. Und das dritte Drittel hält die derzeit ergriffenen Maßnahmen für genau richtig und ausreichend.
In einer solchen Situation trifft jede Entscheidung der Politik auf Kritik, entweder von der einen oder von der anderen Seite. Kritik zu üben ist dabei immer leicht. Kein Kritiker muss unter Beweis stellen, wie er selbst diese Entscheidungen in Regierungsverantwortung getroffen hätte. Und kein Kritiker steht vor der Herausforderung, eine gemeinsame Linie zwischen Bundesregierung, 16 Ministerpräsidenten und 10 verschiedenen Koalitionsvarianten auf Länderebene auszuhandeln. Allein mit Kritik werden wir unserer politischen Verantwortung deshalb nicht gerecht. Das mag für steigende Umfragewerte reichen, gefährdet aber den wichtigsten Faktor zur Bewältigung dieser Krise, nämlich das Vertrauen und die Akzeptanz der Bevölkerung.
Gerade der Herr Oppositionsführer hat das verantwortungsvolle Handeln der Opposition in dieser Hinsicht immer wieder betont, was ja aber auch nur folgerichtig ist, denn schließlich ist die SPD Teil der Bundesregierung und sitzt bei den Bund-Länder-Gesprächen gleich mehrfach mit am Verhandlungstisch.
Wenn dann die MPK Anfang März einen Stufenplan verabschiedet, wie wir ihn aus Schleswig-Holstein lange vorher gefordert hatten, der bei einer Inzidenz unter 50 die Öffnung des Einzelhandels vorsieht, dann war es absolut konsequent und richtig, dieses 1:1 in Schleswig-Holstein umzusetzen und von der Öffnung des Einzelhandels Gebrauch zu machen.
Diese Entscheidung dann zu kritisieren, Herr Dr. Stegner, führt jeden Stufenplan und jede Inzidenzampel ad absurdum. Das Wesensmerkmal einer Inzidenzampel ist es doch gerade, dass nicht die Maßnahmen überall gleich sein müssen, sondern die Kriterien, nach denen diese Entscheidungen getroffen werden. Genau das haben Sie hier mantrahaft monatelang immer wieder betont.
Wenn Scholz und Tschentscher jetzt behaupten, die Öffnung des Einzelhandels in Schleswig-Holstein sei die Ursache für den Anstieg der Infektionen in Hamburg ist das vollkommen absurd.
Die Infektionszahlen hätten bei dieser Argumentation in Schleswig-Holsteinviel stärker steigen müssen als in Hamburg, denn schließlich sind hier nicht nur der Einzelhandel, sondern auch die Schulen schon seit Februar geöffnet. Trotzdem sind die Infektionszahlen bei uns im Land die ganze Zeit über deutlich niedriger als in Hamburg und sinken heute sogar wieder. Das Infektionsrisiko geht offensichtlich nicht vom geöffneten Einzelhandel aus.
Deshalb wäre es überhaupt nicht zu vermitteln gewesen, wenn Schleswig-Holstein von der Bund-Länder-Vereinbarung abgewichen wäre und von der Öffnung des Einzelhandels keinen Gebrauch gemacht hätte.
Dass es der Landesregierung dabei nicht um eine einseitige Öffnungspolitik geht, hat sie bereits mehrfach unter Beweis gestellt: In Flensburg wurde entschieden eingegriffen, noch bevor die Inzidenz die Hotspot-Marke von 200 überhaupt erreicht hatte. Im Kreis Segeberg wurde in den Klassen 1 bis 6 schon zum Wechselunterricht zurückgekehrt, als die Inzidenz noch unter 100 lag, sich aber eine Häufung von Fällen an Kitas und Schulen zeigte. Und in dem Augenblick, als die Inzidenz landesweit über 50 stieg, wurde der geöffnete Einzelhandel wieder in allen Kreisen auf Click & Meet umgestellt, bei denen die Inzidenz diesen Wert überstieg. Das war keine Trickserei, sondern das war genau die regionale Vorgehensweise, die der MPK-Beschluss als Möglichkeit vorsah.
Und das ist auch genau die Vorgehensweise, mit der der Kollege Stegner seinen Vorschlag für eine Inzidenzampel hier schon im Dezember letzten Jahres begründet hatte. Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll vom 21.12.2020:
„Es braucht aus unserer Sicht eine verbindliche Inzidenzampel, die klar vorgibt, ab welchen Infektionszahlen eine bestimmte Maßnahme greift und auch wieder gelockert wird. Das gibt den Menschen im Land eine Perspektive, bietet Raum für regionale Unterschiede und schafft Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Effektivität.“
Von Verbindlichkeit und regionalen Unterschieden will der Herr Oppositionsführer jetzt, wo es darauf ankommt, aber nichts mehr wissen. In der Theorie ist der Kollege Stegner immer spitzenmäßig. In der Praxis würde er aber bei jeder Fahrprüfung durchfallen, wenn er an der grünen Ampel in Schleswig-Holstein stehen bleibt, nur weil die Ampel in Hamburg noch auf gelb steht.
Genau so widersprüchlich wie beim Einzelhandel ist das Agieren der SPD auch beim Tourismus über die Osterfeiertage.
In der Sondersitzung des Landtages vom 4. März vom Kollegen Vogt auf die Bedeutung des Tourismus für unser Bundesland und die rund 160.000 Beschäftigten angesprochen, gibt sich der SPD-Fraktionsvorsitzende noch als Tourismusunterstützer, der einen Osterurlaub in Schleswig-Holstein befürwortet.
Zitat Ralf Stegner aus dem Plenarprotokoll vom 4. März 2021: „Ich will ausdrücklich sagen, dass auch wir uns das wünschen.“
Und Ralf Stegner geht sogar noch weiter: Wenn hier im Plenum die Hoffnung geäußert wird, ab dem 1. April könne Schleswig-Holstein das Ziel von Osterurlaubern aus dem ganzen Bundesgebiet werden, auch dazu sagt Ralf Stegner „Wir wünschen uns das“. Deshalb kritisiert er den Ministerpräsidenten für den in der Vereinbarung enthaltenen Appell, auf nicht zwingend notwendige Reisen zu verzichten.
Eine Woche später erhöht die SPD-Landtagsfraktion sogar noch den Druck und fordert in Person ihrer tourismuspolitischen Sprecherin eine schnelle Entscheidung für den Tourismus.
Der Ministerpräsident soll jetzt sofort erklären, wie es für die Branche weitergehe, so Regina Poersch.
Der naheliegende Verweis der Staatskanzlei auf die Ministerpräsidentenkonferenz am 22. März wird von der SPD dagegen als Zaudern, Zögern und Taktieren kritisiert.
Als der Ministerpräsident aber in der Woche vor der MPK das als Verhandlungsziel ausgibt, was er die ganz Zeit über schon gesagt hat, nämlich der Tourismusbranche eine Perspektive für das Osterreisegeschäft zu eröffnen, da plötzlich macht die SPD eine Kehrtwende und unterstützt dieses Verhandlungsziel nicht mehr.
Reisen in überfüllten Fliegern nach Mallorca seien zwar das falsche Signal, Reisen in Deutschland sollen deswegen aber trotzdem nicht möglich sein, fordert Ralf Stegner jetzt auf einmal mit kreativer Logik.
In Fortsetzung dieses Oppositionskurses stand schon vor dem Ergebnis der Ministerpräsidentenkonferenz fest, dass die SPD in der heutigen Landtagssitzung auf jeden Fall Kritik üben würde.
Im Falle einer erfolgreich verhandelten Öffnungsklausel für den Tourismus über Ostern hätte die SPD das als unverantwortliches Infektionsrisiko gebrandmarkt und dem Ministerpräsidenten dafür massive Vorwürfe gemacht.
Den umgekehrten Fall haben wir heute erlebt: Die SPD kritisiert, dass der Ministerpräsident falsche Erwartungen geweckt und mit seinem Einsatz für den Osterurlaub gescheitert sei. So einfach lässt sich der Spieß umdrehen, wenn man nichts anderes macht als zu kritisieren.
Ich muss schon sagen, dass ist eine wirklich perfide Strategie, die die SPD hier verfolgt. Von verantwortungsvollem und erst recht von gemeinschaftlichem Handeln in der Krise ist da nicht viel übriggeblieben.
Das gilt umso mehr, wenn man sich anschaut, wer an der Seite Schleswig-Holsteins für den Osterurlaub gekämpft hat: Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz, alles Bundesländer, in denen die SPD an der Regierung beteiligt ist.
Deshalb sage ich der Bund-Länder-Vereinbarung zum Trotz: Der Vorschlag eines kontaktarmen Osterurlaubs in einer Ferienwohnung, im Wohnmobil und ggf. auch im Hotel ohne Restaurantnutzung zumindest für die Menschen aus dem eigenen Bundesland war absolut sachgerecht und angemessen. Der Inlandstourismus war nicht der Infektionstreiber, der die zweite Welle im letzten Oktober ausgelöst hat. Das hat die Expertenanhörung des Landtages eindeutig bestätigt. Deshalb war es richtig von Daniel Günther, sich für den Osterurlaub im eigenen Land einzusetzen. Es war richtig für die Tourismusbranche in Schleswig-Holstein mit ihren zahlreichen Betrieben und Beschäftigen. Und es war vor allem richtig für die Menschen, die dadurch den Corona-Lockdown ein kleines Stück erträglicher hätten gestalten können.
Meine Damen und Herren, leider kommt es jetzt nicht so. Die Mehrheit der Ministerpräsidenten und die Bundesregierung haben diese Position nicht geteilt. Und nach einer solch kontroversen Debatte, die die Verhandlungen an den Rand des Scheiterns gebracht hat, verbietet sich anschließend auch ein Alleingang unseres Bundeslandes.
Die Corona-Krise werden wir in Deutschland nur gemeinsam meistern. Genauso wie wir von anderen Bundesländern erwarten, dass sie sich an die getroffenen Beschlüsse halten, so gilt das dann umgekehrt auch für uns – selbst dann, wenn die Infektionszahlen in Schleswig-Holstein vergleichsweise gering sind und unsere Position deshalb gut begründet war.
Aber gerade vor diesem Hintergrund beinhaltet der Bund-Länder-Beschluss auch einen Lichtblick, der sich insbesondere bei uns in Schleswig-Holstein positiv auswirken wird.
Mit der Möglichkeit in ausgewählten Regionen Modellprojekte aufzusetzen, haben wir nach Ostern die Chance zu beweisen, dass unser Konzept für einen kontaktarmen Tourismus funktioniert. Urlaub in Schleswig-Holstein mit negativem Testergebnis und elektronischer Kontaktnachverfolgung mittels App lässt sich sicher gestalten, davon bin ich fest überzeugt. Überall dort, wo die Infektionszahlen niedrig sind, von Nordfriesland bis Ostholstein, haben die Kommunen und Kreise jetzt die Möglichkeit sich an einem solchen Modellprojekt zu beteiligen.
Aus meiner Sicht ist Schleswig-Holstein geradezu prädestiniert für eine touristische Modellregion, und die kann dann durchaus auch aus mehreren Landkreisen und Städten bestehen.
Und genau so können wir auch Modellprojekte im Bereich von Kultur und Sport auflegen, wenn die Beteiligten vor Ort strenge Schutzmaßnahmen garantieren.
Meine Damen und Herren, ebenso wie wir diese Spielräume der Bund-Länder-Vereinbarung nutzen, werden wir uns auch an den anderen Stellen an die getroffenen Vereinbarungen halten. Das heißt, wir werden bei Überschreiten der 100er Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Notbremse ziehen und zwischenzeitliche Öffnungen wieder zurücknehmen.
Sollte es auch bei uns in Schleswig-Holstein bzw. in einzelnen Kreisen oder kreisfreien Städten zu einem exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen kommen, dann werde darüber hinaus zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen sein, die mit einer Ausweitung der Maskenpflicht, vermehrten Schnelltests und verschärften Kontaktbestimmungen im gestrigen Beschluss bereits genannt sind. Das kennen wir größtenteils schon aus Flensburg und das würden in vergleichbarer Situation jederzeit wieder so machen.
Meine Damen und Herren, mit diesen Maßnahmen, mit dem Ziehen der Notbremse bei einer Inzidenz über 100 und mit weiter verschärften Maßnahmen im Falle eines exponentiellen Wachstums müssen wir Zeit gewinnen. Zeit, in der wir mit zunehmenden Impfungen, immer häufigeren Schnell- und Selbsttest und einer appbasierten elektronischen Kontaktnach-verfolgung die entscheidenden Weichen stellen, um diese Pandemie zu besiegen.
Ja, und auch an dieser Stelle kann man natürlich kritisieren, dass das alles viel zu lange gedauert hat, dass noch zu wenig Impfstoff vorhanden ist usw. Kritisieren ist wie gesagt immer einfach.
Wenn es sich dabei aber um ein Versagen der deutschen Bundesregierung handelt, dann müsste sich diese Situation in anderen europäischen Ländern ja grundlegend anders darstellen. Stattdessen stelle ich fest:
Frankreich, liberal regiert, Inzidenz über 300.
Polen, rechtsnational regiert, Inzidenz über 400.
Spanien, sozialdemokratisch regiert, dort lag die Inzidenz in der dritten Welle bei über 500.
Schweden, rot-grün regiert, Inzidenz über 300.
Österreich, schwarz-grün regiert, Inzidenz über 200.
Deutschland, schwarz-rot regiert, Inzidenz aktuell bei 100! Mit den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz aus dieser Woche gelingt es hoffentlich, das Szenario eines Anstiegs auf Werte von 300 oder 500 oder noch mehr zu verhindern.
Bei allem Interesse aus dieser Krise politisches Kapital zu schlagen, sollten wir aber deshalb kein Zerrbild der deutschen Politik zeichnen, das dazu geeignet ist, das Vertrauen in unsere Demokratie grundlegend zu gefährden. In dieser Hinsicht tragen Regierung und Opposition gleichermaßen Verantwortung.
Vor allem dürfen wir aber unsere Hoffnung und Zuversicht nicht verlieren, denn mit Missmut und Kritik allein werden wir diese Krise garantiert nicht bewältigen.
Vielen Dank!
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Max Schmachtenberg
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