| Nr. 030/07

zu TOP 33: Die Ursachen losgelöst von ideologischen Betrachtungsweisen erforschen

Zunächst einmal herzlichen Dank an die Verfasser des Berichts zu Leukämiefällen im Raum Geesthacht/Elbmarsch. Der sorgfältige Umgang mit den Forschungsergebnissen und die detaillierte Schilderung der Sach- und Datenlage zeigt, wie ernst auch die Schleswig-Holsteinische Landesregierung die Häufung von Leukämien insbesondere bei Kindern und Jugendlichen nimmt.

Warum ist wieder ein Kind an Blutkrebs erkrankt? Das muss etwas mit dem Kernkraftwerk in der Nachbarschaft zu tun haben!

Solche Fragen und Vermutungen tauchen mit großer Regelmäßigkeit in den Medien auf. Die Akute Lymphatische Leukämie (ALL) ist die häufigste Krebserkrankung im Säuglings- und frühen Kindesalter. Wissenschaftler können leider immer noch keine endgültigen Antworten auf diese Fragen geben. Dass die meisten, wenn nicht alle kindlichen Leukämien schon in der Gebärmutter entstehen, heißt zwar, dass sie angeboren, nicht aber dass sie erblich oder Folge einer Krebsveranlagung sind. Der alte Streit, ob Krebs durch schlechte Gene oder Umweltfaktoren bedingt ist, ist eigentlich kein Streit mehr. Jede Krebserkrankung ist letztlich eine Erkrankung der Gene. Krebs entsteht durch ein Zusammenspiel von genetischen Besonderheiten des Individuums und von Umweltfaktoren, bei dem einmal die eine und ein anderes Mal die andere Seite die größere Rolle spielt.

Die Ursachen der ALL sind weitgehend unbekannt. In sehr seltenen Fällen tritt eine ALL nach Kontakt mit chemischen Substanzen wie Benzolen, Pestiziden und industriellen Lösungsmitteln auf. Hohe Dosen Radioaktivität und selbst einige Medikamente die zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden, können in seltenen Fällen eine Leukämie auslösen.

Das deutsche Kinderkrebsregister in Mainz besteht erst seit 1980. Durch die Veröffentlichungen des Mainzer Krebsregisters und die Aktivitäten eines niedergelassenen Arztes in Elbmarsch ab dem Jahre 1990 wurde die dortige Häufung von Leukämieerkrankungen von Kindern publik gemacht. Es fehlt folglich an verlässlichen Daten, um Vergleiche mit Erkrankungszahlen in früheren Jahrzehnten vornehmen zu können.

Um die Vorfälle zu klären, setzte die damalige rot-grüne Landesregierung in Kiel 1992 eine Kommission (die „ Wissenschaftliche Fachkommission zur Ursachen-Aufklärung der Leukämieerkrankungen im Raum Geesthacht/Elbmarsch beim Minister für Natur, Umwelt und Landesentwicklung“) aus namhaften Fachleuten ein und gab mehrere aufwendige Gutachten in Auftrag. Der Auftrag war, einen möglichen Zusammenhang der Häufung der Leukämieerkrankungen mit dem nahen Atomkraftwerk Krümmel und dem benachbarten GKSS-Forschungszentrum zu untersuchen - wie es der Interessenlage der damaligen rot-grünen Landesregierung entsprach. Die Mehrzahl der Kommissionsmitglieder waren entschiedene Kernkraftgegner.

Dennoch konnte keine der von der Kommission bei verschiedenen wissenschaftlichen Instituten in Auftrag gegebenen Studien, darunter die groß angelegte „Norddeutsche Leukämie und Lymphomstudie“ des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin von 2002 einen Zusammenhang zwischen gehäuften Leukämie-Erkrankungen und dem AKW Krümmel oder dem GKSS finden. Auch die eingehende Überprüfung der Emissionsdaten der beiden kerntechnischen Anlagen durch das als atomkritisch bekannte Darmstädter Öko-Institut erbrachte keine Auffälligkeiten.

Aus der Kommission traten im Jahr 2004 sechs von neun Mitgliedern aus. Diese Wissenschaftler - alle entschiedene Atomkraftgegner unter der Führung der Professoren Otmar Wassermann und Inge Schmitz-Feuerhake - erhoben heftige Vorwürfe gegen die rot-grüne Landesregierung, die angeblich ihre Arbeit behindert habe.

Es ist bemerkenswert, dass die damalige Landesregierung die Ergebnisse der vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen gegen die ihr gesinnungsmäßig nahe stehenden Wissenschaftler verteidigen musste. Wilfried Vogt, damaliger Energiestaatssekretär, sagte, es sei am Ende gar nichts bewiesen worden und „ eine hochgradige Zumutung, vor allem gegenüber den Eltern in der Elbmarsch“, wenn die sechs Wissenschaftler um Wassermann noch einmal alles aufrollen wollten, nachdem man 5 Millionen € in die Kommissionsarbeit investiert habe. Irgendwo müsse mit gewissen Hypothesen mal Schluss sein.

Die damalige Ministerpräsidentin Heide Simonis warf den zurückgetretenen Wissenschaftlern „ausgeprägte Geltungssucht“ und „aggressive Rechthaberei“ vor. (beide in: Die Zeit, 25.11.2004).

Auf niedersächsischer Seite wurde bereits 1990 eine Expertenkommission eingesetzt (die „Expertenkommission und Arbeitsgruppe Belastungsindikatoren“), die im Jahre 2004 ihren Abschlussbericht vorlegte.

In einem 16-Punkte-Programm wurden wissenschaftliche Untersuchungen in folgenden Einfluss-Bereichen durchgeführt: Elbe (Schadstoffmessungen der Aerosole, Schadstofffracht der Elbe, Schadstoffmessung in der Milch von Kühen, die im Deichvorland grasen, Umweltbelastung bei der Deicherhöhung mit Elbsediment), örtliche Immissionen (ionisierende Strahlen, elektromagnetischer Felder, chemische Schadstoffe aus der Industrie, Altlasten, bzw. belastete Kinderspielplätze), häuslicher Bereich (Radon und Lösungsmittel, Muttermilch, selbst angebautes Gemüse, Schädlingsbekämpfungsmittel), medizinischer Bereich (leukämogene Viren, Chromosomendosimetrie, Röntgenaufnahmen, Medikamente), Trinkwasser (Pflanzenschutzmittel, Altlasten). In keinem der untersuchten Bereiche - auch nicht dem der vermuteten Einwirkung ionisierende Strahlen - ließen sich Ursachen für die Häufung kindlicher Leukämien finden.

Die niedersächsische Untersuchungskommission befasst sich in ihrem Gutachten auch mit den vor allem vom ZDF in sensationeller Weise verbreiteten Funden angeblich radioaktiver Kügelchen durch eine von der „Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch“ beauftragte „Arbeitsgemeinschaft physikalische Analytik und Messtechnik“ (Arge PhAM) im Jahre 2001. Um diese Kügelchen - die nach Auffassung der Atomkraftgegner auf einen Störfall auf dem Gelände der GKSS im Jahre 1986 zurückgehen sollen - ranken sich Vermutungen wildester Art (u. a. Forschung mit Mini-Atombomben im GKSS).

Der damalige Staatssekretär Voigt hat persönlich auf dem Gelände der Forschungsanstalt nach Geheimlabors und Spuren eines Brandes gesucht. „Da war nichts“! Voigt dementierte auch, dass bei der GKSS Hybridversuche stattgefunden haben sollten. (Die Zeit, 25.11.2004).

Eine Überprüfung der Befunde der Arge PhAM durch einen Gutachter der Staatsanwaltschaft Lübeck, einen Experten des Kernforschungszentrums Jülich, das Bundesamt für Strahlenschutz sowie durch die Landes Messstellen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen verlief jedoch negativ.

Deshalb wurde auch diese Variante der Störfallhypothese verworfen.

Die Kommission gelangte daher zu dem Ergebnis, dass die Häufung der kindlichen Leukämien im Beobachtungsgebiet nicht durch bekannte Ursachen erklärt werden könne.

Die Erkrankungsrate ist sehr ungewöhnlich. Allerdings nicht so signifikant, dass eine rein zufällige Häufung ausgeschlossen werden kann. Andere Krebsformen kommen laut Kinderkrebsregister in der Region um die GKSS nicht häufiger vor als im deutschen Durchschnitt. Häufungen von Krebserkrankungen, insbesondere von Leukämieerkrankungen sind in den vergangenen Jahrzehnten in verschiedenen Teilen der Welt beobachtet worden. Beispielsweise haben zwischen 1960 und 1980 die Centers for Disease Control und Prevention (USA) 108 Cluster von Krebserkrankungen untersucht. Bei keinem Cluster ist es gelungen, eine Ursache für die Häufung zu entdecken.

Anfang Oktober 2006 hat die Presse über einen weiteren Leukämiefall aus Geesthacht berichtet. Es war erneut die Rede von der höchsten Erkrankungsrate weltweit. Diese Aussage muss allerdings sehr differenziert betrachtet werden. Im benachbarten Hamburg besteht im Gegensatz zu Schleswig-Holstein zwar ein Melderecht, jedoch keine Meldepflicht für Krebserkrankung und weltweit ist eine umfassende Meldung erst recht nicht gewährleistet.

Dennoch sind Wissenschaft und Forschung, die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen gefordert, weiterhin in intensiver Zusammenarbeit dem Problem der Häufung von Leukämiefällen im Raum Geesthacht/Elbmarsch mit allen Kräften zu begegnen. Ich begrüße daher, dass Niedersachsen nahezu zeitgleich weitere Initiativen in Kooperation mit Schleswig-Holstein angekündigt hat und der Sozialausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages beschlossen hat, sich einer Expertenhörung Niedersachsens anzuschließen.

Bei allem Verständnis für Atomkraft-Gegner warne ich davor, den kausalen Zusammenhang zwischen Leukämieerkrankung in den Elbmarschen und dem Atomkraftwerk oder dem GKSS-Forschungszentrum zu sehen, solange es keine Beweise dafür gibt. Die an Leukämie Erkrankten in Schleswig-Holstein und überall in der Welt haben ein Recht darauf, dass die Ursachen losgelöst von ideologischer Betrachtungsweise erforscht werden.

Und daran wollen wir uns als CDU mit der Landesregierung in Kooperation mit Niedersachsen und Hamburg beteiligen.

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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel
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